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Zwischen Himmel und Erde, Kollegium und Universität, Kirche und Staat

Heuer hat Freiburg das 600-jährige Bestehen der Fronleichnamstradition gefeiert. Aus diesem Anlass ist ein kleiner Gedenkband erschienen, der über 60 Zeugnisse von Menschen vereint, die ihre Erinnerungen und Gedanken an dieses wichtige Fest im Kirchenjahr teilen. Bernhard Altermatt, Historiker und Grossrat sowie Präsident der Versammlung der kantonalen kirchlichen Körperschaft, gibt hier seine persönliche Perspektive im Rückblick auf die Jugend wieder.

Die schön bebilderte, zweisprachige Publikation «Fronleichnamsfest Freiburg 1425-2025 Fête-Dieu Fribourg» (hrsg. von den katholischen Pfarreien der Stadt Freiburg) kann via folgenden Link kostenlos heruntergeladen werden: https://bit.ly/fronleichnam600freiburg

Für mich als Stadtfreiburger, ist die Fronleichnamstradition in mein persönliches Bewusstsein eingetreten, als ich mit knapp 16 Jahren Schüler am Kollegium St. Michael wurde. Nicht nur findet das Hochamt traditionsgemäss auf dem grossen Hof zwischen den verschiedenen Schulgebäuden statt, sondern St. Michael bildet auch den Ausgangspunkt der feierlichen Prozession. Als Mitglied der deutschsprachigen Gymnasialverbindung Zähringia am zweisprachigen Collège St-Michel durfte ich in der Prozession mit einer Fahnendelegation, gefolgt von unseren aktiven und ehemaligen Mitgliedern, mitlaufen.

Neben der würdevollen Atmosphäre blieb mir als Schüler besonders in Erinnerung, dass unsere Fahnendelegation – wie üblich – die ganze Messe hindurch stehend verbrachte. Gemeinsam mit den Vertretern anderer Freiburger Studentenverbindungen fragten wir uns immer, ob dieses Jahr wieder einer oder eine der «Chargierten» ohnmächtig werde. Das lange Stehen im «Flaus», d.h. in der dicken Uniform, die strahlende Morgensonne und der Zuckermangel aufgrund des übersprungenen Morgenessens zwangen regelmässig einige Delegierte in die Knie. Das ging bisweilen so schnell, dass man danebenstehend nur noch die Fahne ergreifen konnte, während der Fahnenträger oder die Fahnenträgerin auf einen Stuhl geschleppt werden musste.

Die 1843, also noch vor der Verstaatlichung des ehemaligen Jesuitenkollegiums, gegründete Gymnasialverbindung Zähringia ist die älteste Sektion im Schweizerischen Studentenverein, der den grössten Teil der Studentenverbindungen katholischer Tradition des Landes vereint. Gemeinsam mit der Société gymnasiale Nuithonia, der französischsprachigen Verbindung am Kollegium St. Michael, laufen unsere Delegation und Mitglieder in der Fronleichnamsprozession an der Spitze der studentischen Vereine und Korporationen. Diese umfassen auch zahlreiche Universitäts- und Hochschulverbindungen, die gemeinsam mit dem Uni-Rektorat in festlicher Montur zuerst die Messe feiern und dann bis zur Kathedrale St. Nikolaus schreiten.

Damit ist auch der direkte historische Bogen vom Kollegium St. Michael zur Universität Freiburg geschlagen, vom Kanton Freiburg zur Schweizerischen Eidgenossenschaft, vom Bereich des Religiösen zur weltlichen Sphäre: Wie das 1582 gegründete Jesuitenkollegium den Grundstein für die Akademie und die spätere Universität Freiburg legte, so bildeten die Mitglieder der Studentenverbindungen im 19. Jahrhundert den Grundstock der gesellschaftlichen, kulturellen, politischen und wirtschaftlichen Entscheidungsträger, die im jungen Bundesstaat aus dem Schweizerischen Studentenverein und anderen Studierendenverbänden heranwuchsen. Dass die Zähringia als älteste Verbindung zuvorderst läuft, war für uns Kollegianer und Kollegianerinnen damals Ehrensache. Das hinderte uns aber nicht daran, in Alternanz mit unserer Schwesterverbindung Nuithonia ein freundschaftliches Arrangement à la fribourgeoise zu finden!

So trafen und treffen sich in Freiburg jährlich an der Fronleichnamsprozession Kollegium und Universität, Kirche und Staat, Himmel und Erde. Als lebendige Tradition, die den Glauben und das gemeinschaftliche Engagement veranschaulicht und verkörpert, verdient das Fronleichnamsfest einen speziellen Platz im kollektiven Gedächtnis und in der religiösen Praxis unseres Gemeinwesens. Möge es weitere 600 Jahre die Menschen in Freiburg zusammenführen und auf ihrem Lebensweg begleiten.

 

von Bernhard Altermatt, Historiker und Grossrat, Präsident der Versammlung der Katholischen kirchlichen Körperschaft des Kantons Freiburg